
Der Internationale Frauentag wird natürlich auch in Kolumbien gefeiert, doch heuer war nicht viel los an diesem Gedenk- und Feiertag. Bei der „Großkundgebung“ auf der Plaza Bolívar, dem Hauptplatz der Riesenstadt, versammelten sich nur wenige hundert Menschen und lauschten swingend einer rappigen Musikdarbietung. Der 8. März war heuer kein Tag der großen Einheit; die Bewegung ist ziemlich zersplittert.
Die denkbar schönste und würdigste Präsentation weiblicher Kraft und Lebensfreude erlebte ich hingegen kurz vorher, auf dem Weg zum Hauptplatz. Am Rande des breiten Gehsteigs vor der Franz von Assisi-Kirche liegen oder sitzen schon seit so vielen Jahren Männer und Frauen, auf Almosen wartend, dass sie bereits in die Reiseführer Eingang gefunden haben. Doch heute ist etwas Besonderes los. Musik ertönt, und beim Näherkommen sehe ich, wie die großteils invaliden, physisch entstellten Menschen ihre Körper im Rhythmus wiegen, ein glückliches Lächeln im Gesicht.
Der Rhythmus kommt von einem mitten am Gehsteig platzierten Rollstuhl, in dem eine invalide Frau halb sitzt, halb liegt. Mit ansteckender Begeisterung schmettert sie Boleros in die Runde, in ihrer verkrümmten Hand ein Mikrofon haltend. Als ich ein paar Münzen in den am Stuhl befestigten Plastikbecher fallen lasse, spüre ich die Freude der Sängerin über ihren großen Auftritt.
Im globalen Happiness-Index belegt Kolumbien, dieses von einem jahrzehntelangen mörderischen Konflikt erschütterte Land, einen der vordersten Plätze. Wenn die Daseinsfreude der Menschen so stark ist, denke ich, wird auch dieses Land wieder bessere Zeiten erleben.
Werner Hörtner